• 1000

Der Bundesfinanzhof hat jüngst ein Urteil gefällt, das womöglich weitreichende Folgen für das künftige Durchsetzen von Steuerfreiheit bei Übertragungen bestimmter Unternehmensanteile hat. Bei dem verhandelten Fall ging es um den sogenannten 90-Prozent-Test. Die Richter relativierten eine bislang starre Regelung  - eine bedeutende Entwicklung, die künftig eine Vielzahl an Unternehmen betreffen könnte. 

Es ist nun zu hoffen, dass sich die Finanzverwaltung zeitnah zu diesem Urteil positioniert und somit größere Planungssicherheit ermöglicht. Hintergründe und Details im kompakten Überblick:

Die Ausgangslage

Für Anteile an gewerblich tätigen Unternehmen sind nach §§ 13a und b des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) im Regelfall Begünstigungen von 85 Prozent möglich. Die Anteile werden als begünstigte Betriebsvermögen sowohl bei der Schenkung- als auch bei der Erbschaftssteuer von der Steuer freigestellt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist optional auch ein Antrag auf eine hundertprozentige Steuerfreistellung möglich. Notwendig für diese sogenannte Optionsverschonung ist, dass der Anteil des übertragenen Verwaltungsvermögens 20 Prozent des Unternehmenswertes nicht übersteigt.

In der Praxis treten indes zunehmend Fälle auf, bei denen trotz Freistellung deutliche Steuerbelastungen entstehen  - diese können allerdings häufig vorab durch Maßnahmen auf operativer Ebene identifiziert und sogar verhindert werden.

Der 90-Prozent-Test: Rechtliche Lage

Vorhandenes Verwaltungsvermögen führt bei Übertragungen im Regelfall nur zu einer partiellen Steuerpflicht, nämlich auf den überschießenden Wert des Verwaltungsvermögens. Bedeutender sind Fälle, in denen eine Begünstigung gänzlich verwehrt wird. Hierzu kann es kommen, wenn ein Unternehmen den als „Einstiegstest“ vorzunehmenden 90-Prozent-Test nach § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nicht besteht. Doch was heißt das genau?

Nach aktueller Rechtslage sind Anteile an einem Unternehmen dann erbschaftsteuerlich nicht begünstigt, wenn die Summe des Verwaltungsvermögens  - einschließlich aller Finanzmittel (Forderungen und Liquidität)  - größer ist als 90 Prozent des Unternehmenswertes. 

Kritisch bei diesem Test ist, dass der Bruttowert aller nicht begünstigten Gegenstände einschließlich des gesamten Forderungsbestandes ohne Schuldenabzug  - jedenfalls für konzernexterne Verbindlichkeiten  - ins Verhältnis zum Unternehmenswert gesetzt wird. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre führt dies dazu, dass der Test von einem Unternehmen mit hohen Forderungsbeständen häufiger nicht bestanden wird. Das Resultat: Anteile können nicht steuerbegünstigt übertragen werden. 

Der 90-Prozent-Test: Praxisbeispiel

Was die rechtliche Lage praktisch bedeuten kann, zeigt folgendes Beispiel: 

Die B-GmbH hat einen Unternehmenswert von 80 Millionen Euro. Das Unternehmen betreibt sein Geschäft durchaus branchentypisch, indem es sich mit Lieferantenkrediten finanziert. Die Bilanzsumme des Unternehmens beträgt annähernd 400 Millionen Euro. 150 Millionen Euro des Betrages sind Kundenforderungen, denen Lieferantenkredite in vergleichbarer Höhe gegenüberstehen. Anderes Verwaltungsvermögen ist nicht vorhanden. Das heißt: Die Summe aller Finanzmittel von 150 Millionen Euro ist größer als der Unternehmenswert von 80 Millionen Euro. Die 90-Prozent-Grenze wäre schon bei 72 Millionen Euro erreicht.

Dieses Überschreiten der 90-Prozent-Grenze führt in reiner Wortlautauslegung dazu, dass das Unternehmen insgesamt nicht steuerbegünstigt übertragen werden kann, also wie Privatvermögen besteuert wird. Diese Regelung wird auch von der Finanzverwaltung in bisheriger Praxis auf Basis der bindenden Erbschaftsteuerrichtlinien streng angewendet.

Das Urteil des Bundesfinanzhofs

Dass die eigentlich zur Missbrauchsvermeidung geschaffene Regelung zum 90-Prozent-Test auch reguläre operative Unternehmen trifft, hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem aktuellen Urteil als nicht angemessen beurteilt. Er hat am 13. September 2023 so entschieden: 

§ 13b Abs. 2 Satz 2 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes ist so auszulegen, dass bei Handelsunternehmen, deren begünstigungsfähiges Vermögen aus Finanzmitteln besteht und nach seinem Hauptzweck einer gewerblichen Tätigkeit dient, für den dort verankerten 90-Prozent-Einstiegstest die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln abzuziehen sind.

Das Urteil benennt ausdrücklich nur Handelsunternehmen, weil dies der zur beurteilende Einzelsachverhalt war. Allerdings erwarten wir eine Übertragbarkeit des Urteils auch auf andere Sachverhalte*. Der BFH hat in seinem Urteil auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen eines Handelsunternehmens abgestellt. Er unterscheidet aber offensichtlich zwischen „guten“ gewerblichen Forderungen und anderen nicht operativ bedingten, die der Gesetzgeber als Verwaltungsvermögen nicht begünstigen möchte.

Die Auswirkungen: Was bedeutet das Urteil für Übertragungen?

Es ist im Moment noch offen, wie die Finanzverwaltung sich zu diesem Urteil stellt. Es erscheint durchaus aussichtsreich, in vergleichbaren Fällen eine Steuerfreiheit gerichtlich durchzusetzen. Im Falle einer geplanten Übertragung ist es dennoch zunächst empfehlenswert, tatsächliche Beurteilungssicherheit abzuwarten. 

*Eine der am Urteil mitwirkenden Richterinnen des 2. Senats, Anette Kugelmüller-Pugh, hat das Urteil in einer Fachzeitschrift (DStR 2023, S. 2788 ff.) so kommentiert: 

„Der Streitfall betraf ein Handelsunternehmen in Gestalt einer Kapitalgesellschaft. Die Entscheidung kann aber auf Unternehmen in Gestalt von Personengesellschaften, die nach ihrer Hauptzweckbetätigung gewerblich oder aufgrund ihrer Gesellschafter freiberuflich tätig sind und durch diese Tätigkeit einen hohen Bestand an Finanzmitteln und produktiven Schulden haben, übertragen werden.“  

Folgt man dieser Aussage, scheint der BFH zu einer eher umfassenden Einschränkung der 90-Prozent-Regelung zu tendieren.