Globale Entwicklungen, Veränderungen der Interessen von Stakeholdern und regulatorische Bestimmungen stellen Unternehmen vor die Herausforderung, Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) in ihre Geschäftstätigkeit zu integrieren. Der Ansatz zum (sozialen) Mindestschutz taucht in verschiedenen neueren EU-Vorschriften auf und befasst sich mit den negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten. Die Erfüllung von Mindestschutzkriterien nimmt deshalb zunehmend an Bedeutung zu.

Komponente der EU-Taxonomie-Verordnung

Ein großer Meilenstein in der Verwirklichung des EU-Aktionsplans „Sustainable Finance“ zur Finanzierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten wurde mit der Verabschiedung der EU-Taxonomie-Verordnung gelegt. Unternehmen, die bereits jetzt schon zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen verpflichtet sind, müssen sich künftig viel genauer mit dem Thema des Mindestschutzes auseinandersetzen.

Die EU-Taxonomie-Verordnung legt konkrete Kriterien fest, anhand derer Wirtschaftsaktivitäten als ökologisch nachhaltig bewertet werden können. Als ökologisch nachhaltig werden jene Wirtschaftstätigkeiten anerkannt, die einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele der EU leisten, kein weiteres Ziel negativ beeinflussen und den (sozialen) Mindestschutz erfüllen.1 Der sogenannte Mindestschutz gemäß Artikel 18 der EU-Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 soll sicherstellen, dass eine Wirtschaftstätigkeit nur dann als „nachhaltig“ (taxonomiekonform) gelten kann, wenn sie auch internationalen Menschenrechtsstandards und Vorschriften zu Themen wie Bestechung und Korruption, Besteuerung und fairer Wettbewerb gerecht wird.

Die in Artikel 18 genannten Leitlinien, die als Grundlage für den Mindestschutz dienen, richten sich jeweils an unterschiedliche Zielgruppen, die von Regierungen bis hin zu multinationalen Unternehmen und anderen Organisationen reichen. Artikel 18 nennt folgende Grundlagen:

  • OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen,
  • Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles),
  • Grundprinzipien und Rechte aus den acht Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und
  • Internationale Charta der Menschenrechte

Leider wurde die Erfüllung des Mindestschutzes von Unternehmen bis dato zu wenig beachtet. Durch die Veröffentlichung des finalen Berichts der „Platform on Sustainable Finance“ über die Anwendung des Mindestschutzes wurde nun mehr Aufmerksamkeit auf die genauen Inhalte gelenkt.

Handlungsempfehlungen der Platform on Sustainable Finance für die Anwendung des Mindestschutzes

Die „Platform on Sustainable Finance“ hat im Juli 2022 ihren ersten Entwurf für die Anwendung des Mindestschutzes veröffentlicht.2 Nach Abschluss der öffentlichen Konsultation (Juli bis September 2022) hat die Platform den Bericht nochmals überarbeitet und die finale Berichtsversion am 11. Oktober 2022 der Europäischen Kommission vorgelegt. Der Bericht der „Platform on Sustainable Finance“ hat keine rechtliche Bindungswirkung, wird aber von der Europäischen Kommission bei der Entscheidung berücksichtigt, ob sie weitere Hinweise zur Anwendung des Mindestschutzes veröffentlichen wird. Der finale Bericht zum Mindestschutz enthält eine Vielzahl an wertvollen Hinweisen in Bezug auf die Erfüllung der Anforderungen aus den Bereichen Soziales und Governance. Die praktische Umsetzung des Mindestschutzes könnte dabei zu einem komplexen, zT iterativen Prozess werden, da dessen Einhaltung schon jetzt eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung von taxonomiekonformen Tätigkeiten ist, während die konkreten gesetzlichen Vorgaben in Form der CSDDD3 und der CSRD4 derzeit noch nicht finalisiert sind. Im finalen Bericht wird eine Reihe von Themen für die Anwendung des Mindestschutzes aufgegriffen. Besonders relevant für die praktische Umsetzung ist die Festlegung der wesentlichen Themenbereiche:

  • Menschenrechte (inkl Arbeits- und Verbraucherrechte)
  • Bestechung, Bestechungsaufforderung und Erpressung
  • Besteuerung
  • Fairer Wettbewerb

Nach Auffassung der „Platform on Sustainable Finance“ umfasst der Mindestschutz damit neben sozialen Themen auch Aspekte aus dem Bereich Governance. Um die Einhaltung des Mindestschutzes zu bestätigen, schlägt der Bericht eine zweigleisige Vorgehensweise vor. Im ersten Schritt sollten angemessene Prozesse im Unternehmen vorhanden sein, im zweiten Schritt sollten die tatsächlichen Ergebnisse dieser Prozesse auch bewertet werden. Insbesondere hebt der Bericht hervor, dass das Kernelement in Bezug auf die Einhaltung des Mindestschutzes im Unternehmen der Due-Diligence-Prozess ist, welcher aktiv implementiert ist und über die dabei erzielten Fortschritte berichtet. Um die Einhaltung dieser Anforderung zu messen, besteht der erste Schritt darin, „zu verstehen, ob ein Unternehmen über seinen Due-Diligence-Ansatz berichtet“. Um die Mindestschutzkriterien einzuhalten, sollten auch keine rechtskräftigen Verurteilungen in den vier obengenannten Bereichen vorhanden sein. Laut Bericht können weder das Unternehmen noch die zugehörigen Wirtschaftstätigkeiten als taxonomiekonform bewertet werden, wenn diese Kriterien nicht erfüllt werden.

Die „Platform on Sustainable Finance“ bettet den Mindestschutz ferner in die bestehende und die sich derzeit entwickelnde Gesetzgebung ein. Unter anderem sollen die Vorgaben an entsprechende Prozesse aus der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und die damit verbundene Berichterstattung im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) – zumindest für das Thema Menschen- bzw Arbeitsrechte – künftig den detaillierten Referenzrahmen für die Einhaltung des ­Mindestschutzes bilden.

Fazit

Der Übergang in eine klimaneutrale europäische Wirtschaft bis 2050 und die Offenlegungsvorschriften der EU-Taxonomie stellen betroffene Unternehmen vor große Herausforderungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Eine zunehmende Verschränkung ökologischer, sozialer und ökonomischer Kriterien sowie finanzieller und nichtfinanzieller Leistungsindikatoren erhöht die Komplexität. Unternehmen sollten bereits jetzt ihre Due-Diligence-Prozesse und Governance-Strukturen unter die Lupe nehmen, um den stetig wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. In Zukunft ist somit zu erwarten, dass die Rahmenbedingungen in Bezug auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung zunehmend ausgeweitet und Unternehmen verstärkt in die Pflicht genommen werden.

1 VERORDNUNG (EU) 2020/852 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088
2 https://finance.ec.europa.eu/system/files/2022-10/221011-sustainable-finance-platform-finance-report-minimum-safeguards_en.pdf
3 DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on Corporate Sustainability Due Diligence and amending Directive (EU) 2019/1937
4 https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/06/21/new-rules-on-sustainability-disclosure-provisional-agreement-between-council-and-european-parliament/