Die aktuellen, wirtschaftlichen Entwicklungen stellen viele Unternehmen vor enorme Herausforderungen, wenn es um die Beschaffung von produktionsrelevanten Rohstoffen und Energie geht. Schon in der diesjährigen April-Ausgabe des Corporate Treasury Newsletters wurde auf die volatile Marktsituation im Rohstoffbereich aufmerksam gemacht und mit Blick auf die Agrarwirtschaft beleuchtet. Neben allgemeiner Verunsicherung aufgrund des Ukrainekrieges, der hohen Inflation und einer gegebenenfalls bevorstehenden Rezession, führen damit einhergehende Volatilitäten in Rohstoff- und Energiepreisen wie beispielsweise bei Gas, Strom, Öl oder Soft Commodities zu schlecht prognostizierbaren Geschäftsverläufen und Jahresergebnissen sowie Planungsunsicherheiten in Bezug auf die Unternehmensliquidität.

Um dieser Unsicherheit zu begegnen, sehen Unternehmen sich aktuell der Herausforderung ausgesetzt, entsprechende Risikosteuerungsmaßnahmen zu implementieren, oder bestehende Absicherungsstrategien auszuweiten. Insbesondere in produzierenden Industrien mit hohem Bedarf an Energie oder Rohstoffen nutzen Unternehmen Rohstoffderivate, um Erzeugungskosten zu stabilisieren und operative Margen zu schützen. Gleichzeitig ist es für Unternehmen in derartigen Extremszenarien essentiell, eine möglichst realitätsnahe Abbildung der eigenen Risikomanagementstrategie und deren Einfluss auf die Vermögens- Finanz- und Ertragslage an den Kapitalmarkt zu kommunizieren, um so den Zugang zu benötigtem Eigen- und/oder Fremdkapital aufrecht zu erhalten. 

Anwendung von Hedge Accounting stellt eine Herausforderung dar

Für eine möglichst realitätsnahe Abbildung entsprechender Absicherungsstrategien bietet sich die Anwendung von Hedge Accounting unter IFRS an. In diesem Zusammenhang führt das im IAS 39 verankerte Verbot zur Sicherung einzelner Risikokomponenten von nichtfinanziellen Grundgeschäften jedoch regelmäßig dazu, dass Unternehmen in Ihrer Berichterstattung ökonomisch nicht zu rechtfertigende Ineffektivitäten auszuweisen haben. Unter IAS 39 ist es nicht möglich, Rohstoffpreisrisiko-Sicherungen ohne Störgrößen, die entlang der operativen Wertschöpfungskette entstehen (das sogenannte Basisrisiko) sachgerecht abbilden zu können.1 Unter Umständen ist es aufgrund der restriktiven Anforderungen hinsichtlich der Hedge-Effektivität sogar in Gänze unmöglich, ökonomisch sinnvolle Sicherungsstrategien im Rahmen des Hedge Accounting abzubilden. IAS 39 erlaubt es – abgesehen von Fremdwährungsrisiken – nicht, einzelne Risikokomponenten nicht-finanzieller Grundgeschäfte zu designieren (IAS 39.82). Verträge über den Kauf oder Verkauf von Rohstoffen beinhalten jedoch neben einer reinen Preiskomponente regelmäßig weitere Bestandteile wie etwa Transport- und Lagerkosten, sodass bilanziell keine Wertidentität zwischen Grund- und Sicherungsgeschäft hergestellt werden kann und die Anwendung von Hedge Accounting – insbesondere vor dem Hintergrund der Effektivitätsmessung – erschwert wird.  

IFRS 9 als mögliche Abhilfe?

Unter IFRS 9 besteht indes die Möglichkeit, Risikokomponenten nicht-finanzieller Grundgeschäfte separat als Grundgeschäfte in das Hedge Accounting zu designieren und so die oben beschriebenen Störgrößen von der Sicherungsbeziehung auszuschließen. Der Standard schränkt die Anwendung der Komponentendesignation jedoch dahingehend ein, dass die zu designierende Risikokomponente separat identifizierbar und verlässlich bewertbar sein muss (IFRS 9.6.3.7(a) iVm. IFRS 9.B6.3.8 f.). Regelt die vertragliche Grundlage explizit, wie die Risikokomponente bei der Preisfindung berücksichtigt wird, gilt sie als eigenständig identifizierbar. Als verlässlich bewertbar gilt eine Risikokomponente dann, wenn die Bewertungsparameter bzw. Inputfaktoren für eine isolierte Bewertung bzw. Messung des Risikos über öffentlich zugängliche Marktdaten feststellbar sind bzw. nicht-feststellbare Parameter nicht wesentlich für die Bewertung sind. Grundsätzlich ist unter bestimmten Voraussetzungen auch eine implizite Ableitung einer dem Grundgeschäft zugrunde liegenden Risikokomponente möglich (sogenannte Non-contractually specified risk components). Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, ist vor dem Hintergrund der jeweils relevanten Marktstrukturen im Einzelfall zu entscheiden. Im Allgemeinen ist es umso schwieriger, eine erkennbare Auswirkung einer vertraglich nicht explizit spezifizierten physischen Komponente auf den Preis eines Produkts, in das die Komponente einfließt, festzustellen, je größer der Grad der anschließenden Umwandlung und Wertschöpfung bei der Produktion des betreffenden Produkts ist. Basierend auf den gegebenen Marktstrukturen können Unternehmen jedoch gegebenenfalls auch vertraglich nicht explizit spezifizierte Risikokomponenten als Grundgeschäfte designieren. In diesem Fall muss das bilanzierende Unternehmen dann den Nachweis führen, dass über den gesamten Sicherungshorizont ein eindeutiger und stabiler ökonomischer Zusammenhang mit dem Grundgeschäft besteht. Als Beispiel für diese spezielle Form der Designation nennt das IASB die Absicherung von Kerosinbezügen mittels Rohölderivaten (IFRS 9.B6.3.10(c)).

Neben der Möglichkeit, mittels der Komponentendesignation wesentliche Störfaktoren für die Hedge-Effektivität zu vermeiden, eröffnet diese Vorgehensweisen die Möglichkeit, den unter IFRS 9 geforderten, prospektiven Effektivitätsnachweis in qualitativer Hinsicht zu erbringen, wenn eine 1:1-Beziehung von Grund- und Sicherungsgeschäft erzielt wird. Der qualitative Nachweis wird in praxi regelmäßig durch Anwendung des Critical Terms Match, also einem Abgleich der bewertungsrelevanten Parameter von Grund- und Sicherungsgeschäft (IFRS 9.BC6.268), geführt. Hierdurch entsteht nicht zuletzt auf prozessualer Ebene eine signifikante Erleichterung, um die Anwendungsvoraussetzungen für das Hedge Accounting zu erfüllen.

Fallstricke bei der Umsetzung

Wenngleich die Anwendung der Komponentendesignation für nicht-finanzielle Grundgeschäfte die oben genannten Erleichterungen bietet, sind im Vorfeld einer operativen Umsetzung einige Aspekte zu berücksichtigen. Zunächst verlangt IFRS 9 (unverändert zu IAS 39) im Rahmen der Designation von Risikokomponenten über die separate Identifizierbarkeit und verlässliche Bewertbarkeit der Komponente hinaus, dass die gesicherte Komponente einer finanziellen oder nichtfinanziellen Position nicht größer sein darf als die Summe aller aus der Position resultierenden Cashflows (sogenannte Sub-benchmark prohibition, IFRS 9.6.3.7 iVm IFRS 9.B6.3.21). Sind die Zahlungsströme aus der zu designierenden Risikokomponente indes größer als die gesamten Zahlungsströme aus dem zugrundeliegenden Kauf- oder Verkaufsvertrag, ist die Anwendung des Komponentenansatzes ausgeschlossen.2 In manchen Industriebereichen liegt für das abzusichernde Risiko keine direkte Marktquotierung vor, sodass die Preisbildung auf Basis eines von einem Benchmark-Preis in Abzug gebrachten Spreads erfolgt (beispielsweise Buntmetalle).3 Darüber hinaus können Verträge zum Kauf oder Verkauf nicht-finanzieller Posten Komponenten wie Preisober- oder -untergrenzen beinhalten, sodass die zu erwartenden Zahlungsströme aus der gesamten Transaktion im Vergleich zu einer isolierten Betrachtung des zugrunde liegenden Underlyings geringer ausfallen. Eine detaillierte Analyse der vertraglichen Regelungen zur Preisfindung ist daher eine der Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Komponentendesignation.

Darüber hinaus hat, in Abhängigkeit von der zu sichernden Transaktion(en), die aktuelle ökonomische Situation einen direkten Einfluss auf die Hedge-Accounting-Fähigkeit der Sicherungsbeziehung. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Grundgeschäft eine erwartete Transaktion darstellt und nicht bereits vertraglich in Zeitpunkt und Menge fixiert ist. Durch das erhöhte Preisniveau und die zunehmenden Unsicherheiten am Markt hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung besteht ein akutes Risiko, dass Produktionsmengen nicht im ursprünglich geplanten Umfang erzielbar sind. Hieraus abgeleitet ist die für eine Designation als Grundgeschäft erforderliche, hohe Eintrittswahrscheinlichkeit der gesicherten Transaktion (IFRS 9.6.3.3) gegebenenfalls in Frage zu stellen. Um etwaige Overhedges und damit einhergehende, zusätzliche Ergebnisvolatilitäten zu vermeiden, sind Unternehmen insofern dazu angehalten, die eigenen Planungsprozesse und Prognosen in diesem Zusammenhang auf Herz und Nieren zu überprüfen.

Abschließend ist zu berücksichtigen, dass die Kosten für entsprechende Sicherungsinstrumente durch die Volatilität der zugrunde liegenden Referenzpreise getrieben werden. Basierend auf den aktuellen Marktentwicklungen können hierbei erhebliche Hedgingkosten entstehen. Abhängig von der strategischen Ausrichtung und dem Risikoappetit des bilanzierenden Unternehmens empfiehlt es sich daher, bei der Auswahl der Sicherungsinstrumente neben klassischen, unbedingten Termingeschäften (Forwards oder Futures) beispielsweise auch die Verwendung möglichst prämienneutraler Optionskombinationen, wie (Zero-Cost) Collars oder Bull/Bear Spreads in Erwägung zu ziehen.

Fazit

IFRS 9 bietet die Möglichkeit, mit der Anwendung des Komponentenansatzes ein erhöhtes Alignment zwischen Risikomanagement und bilanzieller Abbildung zu erzeugen. Unternehmen, die bisher kein Rohstoffrisikomanagement betrieben haben oder entsprechende Sicherungsmaßnahmen nicht unter den Regelungen des Hedge Accounting abbilden, können die unter IFRS 9 bestehenden Möglichkeiten einer vereinfachten Designation kurzfristig nutzen. Unternehmen, die Hedge Accounting bisher unter den Vorschriften des IAS 39 fortgeführt haben, sollten auf Grundlage entsprechender Kosten/Nutzen-Analysen Überlegungen hinsichtlich eines Überganges auf IFRS 9 anstellen. Gleichzeitig ist es für eine erfolgreiche Umsetzung von Bedeutung, die Auswahl der Sicherungsstrategien und ggf. einzusetzenden Sicherungsinstrumente zu überdenken. 

Ihr Finanz- und Treasury Management Team steht Ihnen für einen Austausch sehr gerne zur Verfügung.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 126, Oktober 2022
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG 
Philipp Wallis, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Yannic Diefenbach, Assistant Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG

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1 Prokop/Wallis, KoR 4/21.
2 Es verbleibt jedoch die unter IAS 39 bereits verfügbare Möglichkeit, den Gesamtvertrag als Grundgeschäft zu designieren. 
3 Prokop/Wallis, KoR 4/21.