Andienungsrechte von Nicht-beherrschenden Gesellschafter (non-controlling interests = NCI) bezeichnet die Pflicht eines Konzerns eigene Anteile (beispielsweise Aktien) von Nicht-beherrschenden Gesellschaftern zu kaufen, wenn die NCI diese Anteile anbieten (Normalfall sog. „issuer settlement option“). Häufig wird das Recht der NCI zu einem festgelegten zukünftigen Zeitpunkt ausübbar und verfällt danach. Aus Sicht des Unternehmens, das dieses Recht ausreicht, handelt es sich wirtschaftlich um eine Stillhalterposition auf eigene Anteile, also eine written put option mit dem underlying: eigener Anteil. Diese potenzielle Rückkaufpflicht des Unternehmens wird in der Literatur zur bilanziellen Behandlung des verpflichteten Unternehmens häufig unter dem Begriff Andienungsrecht (bzw. puttable instruments) diskutiert.

Diese Andienungsrechte sind in unterschiedlichen Vertragskonstellationen häufig in der Praxis zu beobachten. Das gilt auch für Unternehmen, die mit Derivaten und speziell Optionen eigentlich nichts zu tun haben möchten. In den meisten Fällen finden sich Andienungsrechte nicht offen als Einzelverträge, sondern als Vertragspassage in anderen Verträgen, beispielsweise im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen (im Sinne des IFRS 3). Manchmal soll mit solchen Vertragspassagen allerdings auch der Marktzugang ermöglicht werden. In diesen Fällen benötigt ein Unternehmen beispielsweise einen lokalen Geschäftspartner, der die richtigen Kontakte mitbringt, weiß, wie das Geschäft läuft oder das unternehmerische Handeln rechtlich erst ermöglicht (zum Beispiel im Ausland). In diesen Fällen sind Andienungsrechte typischer Weise auch in Dienstleistungsverträge oder ähnliches eingebunden. 

Andienungsrechte von NCI stellen eine „beliebte“ Fehlerquelle in Abschlüssen dar, da mehrere Aspekte zu beurteilen sind. Die daraus resultierenden Fehler können zum Teil zu erheblichen Falschbuchungen in den IFRS-Konzernabschlüssen und den daraus abgeleiteten Kennzahlen führen. Da im Fall eines Fehlers das Eigenkapital und die finanziellen Verbindlichkeiten regelmäßig falsch bewertet oder ausgewiesen werden, kann auch eine erhebliche Anzahl an typischen financial covenants betroffen sein (beispielsweise die net debt ratio).

Häufig sind Andienungsrechte bei der Abbildung von Business Combinations nach IFRS 3 zu berücksichtigen (beispielsweise im Rahmen der Bestimmung der Consideration Transferred) oder sie sind im Scope des IFRS 2 zu anteilsbasierten Vergütungen (IFRS 2) (beispielsweise NCI den Mitarbeitern eingeräumt werden). Eine Abgrenzung fällt auch insofern schwer, als auch Unternehmen Berechtigte einer anteilsbasierten Vergütung sein können. 

Da anteilsbasierte Vergütungen bereits Gegenstand verschiedener Artikel dieser Newsletter-Reihe waren, werden im Weiteren Andienungsrechte beschrieben, die aus Unternehmenserwerben hervorgehen. Zum Erwerbszeitpunkt muss der Konzern die Vermögenswerte und Schulden des Tochterunternehmens (voll-) konsolidieren und die Anteile, die von außenstehenden Gesellschaftern gehalten werden, Nicht-beherrschende Anteile (NCI) zeigen, die es offen im Eigenkapital ausweist.

Neben dem Ansatz des Andienungsrechts (im Haben) sorgt bis Weilen auch die Gegenbuchung (im Soll) bei der erstmaligen Erfassung für Aufsehen, daher werden nachfolgend beide Themen kurz und vereinfachend beleuchtet.

Zum Ansatz des Andienungsrechts: Das Andienungsrecht hat zwar finanzmathematisch das Zahlungs- und Bewertungsprofil einer Option, wird aber nicht zu diesem Wert bilanziert (IAS 32.18 in Verbindung mit IAS 32.23). Unter IFRS handelt sich bei der Verpflichtung aus dem Andienungsrecht in der Regel (vergleiche KPMG Insights into IFRS 19th 7.3.110.70 in Verbindung mit 7.3.150.10) nicht um ein Derivat oder Eigenkapital, sondern um eine finanzielle Verbindlichkeit, die zunächst mit dem diskontierten Rückzahlungsbetrag angesetzt werden muss (IAS 32.23). Für die klassischen Andienungsrechte kommt es daher nicht zum Ansatz einer Verbindlichkeit in Höhe des beizulegenden Zeitwerts der Option ([Marktwert – Ausübungspreis/Strike] zuzüglich des Zeitwerts) sondern zum Ansatz in Höhe des Barwerts des Ausübungspreises selbst. Wenn über die allgemeinen Folgebewertungsprinzipien für finanzielle Verbindlichkeiten der Buchwert dieser speziellen Verbindlichkeit angepasst werden muss, so besteht hier grundsätzlich ein stetig auszuübendes Wahlrecht, die Wertveränderung der Verbindlichkeit im Ergebnis (P&L) oder erfolgsneutral im Eigenkapital des Konzerns vorzunehmen. Das Wahlrecht ist selbstverständlich auf Verbindlichkeiten aus den hier dargestellten Andienungsrechten begrenzt. 

Wenn zum Beispiel das Recht besteht, die Aktien eines Konzernunternehmens in zwei Jahren, zum dann beizulegenden Zeitwert, eben jenem Konzern zu verkaufen, dann hat das Andienungsrecht einen mathematischen Optionswert von Null, da zum Ausübungszeitpunkt immer gilt: 

Marktwert der Anteile = Ausübungspreis 

und ein solcher Vertrag weder einen inneren Wert noch einen Zeitwert aufweist. Dementgegen wird die Höhe der Verbindlichkeit für das Andienungsrecht durch den erwarteten Kaufpreis (und die spezifische Diskontierung) festgelegt.

Zur Gegenbuchung der erstmaligen Erfassung der Andienungsrechte: Grundsätzlich kommt eine Ausbuchung der NCI oder eine direkte Senkung des, dem Mutterunternehmen zuzurechnenden Teil des (Konzern-) Eigenkapitals in Betracht (Im Fall von Unternehmenszusammenschlüssen nach IFRS 3 kommt auch der Goodwill in Betracht. Auf den Fall wird hier nicht weiter eingegangen.). Für die Entscheidung muss zunächst beurteilt werden, ob die NCI ihre Eigentümerstellung bereits faktisch verloren haben („present access“). Die Beurteilung orientiert sich am Gesamtsachverhalt und muss im Einzelfall gewürdigt werden. Dabei ist u.E. Partizipation an positiven und negativen Wertänderungen der Anteile und der Zugriff auf Dividenden zu berücksichtigen. Die Eigentümerstellung ist beispielsweise dann nicht faktisch verloren, wenn die Anteile bei Fälligkeit zu ihrem dann bestehenden beizulegenden Zeitwert verkauft werden dürfen und den NCI zwischenzeitlich weiterhin Dividenden zustehen. Haben die Nicht beherrschenden Anteilseigner weiterhin die „Eigentümerstellung“ wirtschaftlich inne, führt das bei dem Unternehmen, dass die Andienungsrechte ausgereicht hat, zu einem Methodenwahlrecht, die Soll-Buchung im Konzerneigenkapital oder in den NCI (allerdings nicht bei business combinations) zu erfassen. Wenn ein sog. „present access“ nicht mehr besteht, ist zwingend die so genannte „anticipated acquisition“-Methode (KPMG Insights into IFRS 19th 2.5.690.30) anzuwenden, und damit die Soll-Buchung zwingend gegen die NCI vorzunehmen. Wenn „present access“ besteht existiert ein Wahlrecht zur Anwendung dieser Methode. In der Praxis wird oftmals die „anticipated acquisition method“ angewendet“). Nur ein verbleibender Differenzbetrag (Verbindlichkeit </> NCI) würde gegen das Konzerneigenkapital erfasst werden.

Zum Ausübungstag des Andienungsrechts kommt es entweder zur Ausübung (in der Regel gegen den Finanzmittelfonds) oder zu einem Verfall des Rechts. Bei einem Verfall des Rechts erfolgt die Ausbuchung der Verbindlichkeit direkt gegen das Konzerneigenkapital.

Aus den genannten Gründen schützt eine vorausschauende Vertragsgestaltung vor „unliebsamen Überraschungen“. In jedem Falle sollte vor Durchführung der Ausreichung eines Andienungsrechts deren bilanzielle Implikationen beurteilt und gegebenenfalls simuliert werden, um unerwünschte Auswirkungen auf die Bilanzkennzahlen zu vermeiden.

Für Rückfragen steht Ihnen das Team des Finanz- und Treasury Management sehr gerne zur Verfügung.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 125, September 2022
Autoren:
Ralph Schilling, CFA, Partner, Head of Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG
Felix Wacker-Kijewski, Senior Manager, Finance and Treasury Management, Treasury Accounting & Commodity Trading, KPMG AG