Von Lieferengpässen, steigenden Frachtraten und Inflation

Die Preisentwicklung im Bereich der Rohstoffe scheint momentan nur eine Richtung zu kennen: Nach oben. Die Ursachen für die aktuelle Situation sind komplex und beruhen auf einer Vielzahl an Faktoren:

Seit Beginn der Pandemie ist der Konsum in den USA und Europa unerwartet stark gestiegen. Sehr gefragt sind vor allem Waren aus China. Die Anzahl der Container, mit denen die Waren ihre Reise in den Westen antreten, sind allerdings begrenzt. Diese Knappheit und Staus bei der Rückführung der Container (beispielsweise durch Corona-bedingte Arbeitstops in chinesischen Häfen) führen mitunter zu einem enormen Anstieg der globalen Frachtraten. Einer der vielen Indikatoren hierfür ist der sogenannte World Container Index (WCI) des Branchenanalysten Drewry. Dieser ist seit Ausbruch der Pandemie von 2.000 auf einen Wert von 10.0001 angestiegen – die Frachtraten haben sich somit seit Herbst 2020 mehr als vervierfacht. Darüber hinaus liefert der Baltic Dry Index ein ähnliches Bild. Dieser ist seit Anfang des Jahres um fast das Dreifache gestiegen.

Global Container Freight Index

Abb. 1: Entwicklung von Container Frachten des Freightos Baltic Index (FBX): Global Container Freight Index (Markdaten aus Thomson Reuters)

Dieser Anstieg in den Transportkosten wirkt sich unmittelbar auf die Kosten für Primär- und Sekundärrohstoffe aus. Hinzu kommen Qualitätsdefizite und lange Wartezeiten für Güter, bedingt durch verlangsamte Lieferketten. Im Handel zeigen sich die Auswirkungen bereits in der finanziellen Situation der Unternehmen und verursachen einen Anstieg der Umsätze bei gleichzeitigem Rückgang der Margen. Der VCI2 hat seine Mitglieder zu den Auswirkungen befragt: Im Mai antworteten beinahe die Hälfte der befragten Unternehmen, dass ihr Betriebsablauf von den Engpässen „schwer“ oder „sehr schwer“ betroffen sei. Entsprechend reagiert der Handel auf die gestiegenen Beschaffungskosten, indem er diese oftmals an die Endverbraucher weiterreicht. Die Folge: Ein potenziell nicht unwesentlicher Beitrag zur Inflation. 

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hält einen Anstieg der Inflationsrate auf einen Wert von bis zu 4 % für möglich. Laut BGA3 wird in Europa auch langfristig mit höheren Niveaus der Erzeugerpreise zu rechnen sein. Über die Frage, ob es sich bei der aktuellen Entwicklung um eine direkte Folge der Pandemie oder einen langfristigen Trend handelt, sind sich Analysten und Ökonomen uneins. 

Durchreichen des Marktpreisänderungsrisikos

Aktuell lässt sich beobachten, dass die rohstoffintensive Industrie die hohen Beschaffungspreise an den Kunden weitergibt, um möglichst die Handelsmargen zu stabilisieren. Doch nicht in allen Branchen lässt sich das Marktpreisrisiko durchreichen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Windenergiebranche. Produzenten von Windkraftanlagen sind dem Marktpreisrisiko oftmals ohne entsprechende Preissicherung durch Festpreisverträge bzw. Derivate vor allem in der Phase der Angebotsstellung sowie der Beschaffung ausgesetzt. In der Angebotsphase werden vertriebsseitig Preise für den Verkauf der Windkraftanlagen fixiert. Auf der Beschaffungsseite findet jedoch in der Regel keine oder nur eine geringe Preisfixierung für die benötigten Rohstoffe bis zum Produktions-/Baubeginn statt. Somit unterliegt der Windanlagenproduzent voll dem Risiko eines zwischenzeitlichen Anstiegs der Stahlpreise bei hoher Preisvolatilität. Das Marktpreisrisiko für Stahl lässt sich im Gegensatz zu beispielsweise Kupfer nicht eins zu eins oder nur mit Hilfe von Proxy-Hedges über Terminkontrakte absichern. Hinzu kommt, dass auf der Vertriebsseite wegen des hohen Konkurrenzdrucks keine optimale Verhandlungsposition besteht. Das erschwert die Umsetzung risikomindernder Maßnahmen, wie beispielsweise einer Indexierung von Stahlpreisen, die das beschaffungsseitige Risiko abfangen können. Dieses Beispiel lässt sich auf weitere Branchen innerhalb der rohstoffintensiven Industrie übertragen. 

Beschaffungs- und vertriebsseitiges Risiko minimieren

Viele Unternehmen im Bereich der rohstoffintensiven Industrie und des Rohstoffhandels stehen vor der Herausforderung, dass sie meist nicht in der Lage sind ihr Exposure aus offenen Positionen auf Beschaffungs- und Vertriebsseite sachgerecht zu bestimmen. Dies liegt meist an einer heterogenen Daten- und Systemlandschaft, die eine einheitliche und zentrale Messung und Erhebung des Exposures erschwert. In Zeiten eines seitwärtstendierenden Marktes mag hieraus kein größeres Risiko resultieren, aber in Zeiten mit hochvolatilen Rohstoffpreisen gestaltet sich die Lage anders. Die derzeitige Marktsituation gibt Unternehmen erneut Anlass, die Angemessenheit der bisherigen Strategien, Methoden und Prozesse im Risikomanagement und die Ausgestaltung des Risikokreislaufs im Handel und Treasury auf die Fähigkeit zur nachhaltigen Bewältigung von Unsicherheiten, zu hinterfragen.

Für den langfristigen Umgang mit volatilen Rohstoffpreisen stehen Unternehmen mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung: 

  • Risikostrategie und Risikokennzahlen
    Prüfen Sie, ob Ihre derzeitige Risikostrategie mit der unternehmerischen Zielsetzung übereinstimmt und ob die Bedeutung relevanter Risiken (Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken) für das Unternehmen bekannt ist. Vergewissern Sie sich, dass die aktuellen Risikokennzahlen eine verlässliche Aussage über Auswirkungen auf die unternehmensspezifischen Performancekennzahlen (EBIT, Cash, Eigenkapitalquote), nach denen gesteuert wird, zulassen. Legen Sie eine klare Risikomanagementstrategie fest. 
  • Exposure-Erhebung
    Überprüfen Sie die Höhe und den Entstehungszeitpunkt Ihres Rohstoffrisikos. Verschaffen Sie sich einen Überblick darüber, welche Geschäftsarten in das Exposure bzw. in die Sicherungsmengen einbezogen werden (physische Vorräte, physische Lieferkontrakte, finanzielle Kontrakte, Time Buckets, Lieferorte, etc.). Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit und gegebenenfalls mit welchem Zeitverzug die Risiken überwälzt werden können, da zum Beispiel das Risiko überschätzt wird, wenn nur auf die Einkaufspreise für Rohstoffe geblickt wird, ohne gleichzeitig die Reaktionen der Verkaufspreise auf Veränderungen der Rohstoffmärkte zu berücksichtigen. 
  • Risikotragfähigkeit
    Legen Sie fest, welches Risiko Sie in diesem strategischen Bereich zu tragen bereit sind. Wählen Sie eine geeignete Methodik, mit der Sie das Risiko messen und berichten können. Entscheiden Sie welche Risiken eingegangen werden dürfen (Risk-Return-Profil). Dabei kann auch zwischen einer Grenze für die Geschäftstätigkeit in normalen Zeiten und einem zusätzlichen Puffer für Extremszenarien unterschieden werden.
  • Sicherungsstrategie
    Formulieren Sie vor dem Hintergrund Ihrer Ziele im Rohstoffeinkauf eine klare Sicherungsstrategie. Berücksichtigen Sie hierbei, ob die Möglichkeit des Eigenhandels bzw. des Eingehens von Market-Timing-Positionen besteht. Legen Sie die Methodik für die Erfolgsmessung Ihrer Sicherungsstrategie fest und führen diese regelmäßig durch (zum Beispiel Benchmarking). Stellen Sie sicher, dass die Effektivität von Sicherungsbeziehung ökonomisch und buchhalterisch in Anbetracht der aktuellen Marktlage noch gegeben ist (zum Beispiel Effektivität von Proxy-Hedges).
  • Rahmenbedingungen für den Rohstoffhandel
    Schaffen Sie eine klare Governance-Struktur, die eine Festlegung der Rahmenbedingungen im Rohstoffhandel zulässt und Verantwortlichkeiten klar regelt. Identifizieren Sie, wer Änderungen an den bestehenden Rahmenbedingungen vorgibt bzw. ob Ausnahmen bei der Einhaltung von Rahmenbedingungen möglich sind. Legen Sie fest, welche Produkte/Instrumente für den Handel zulässig sind.

Die vergangenen Monate haben erneut gezeigt, dass es durchaus sinnvoll sein kann, der Unternehmensleitung und dem Kosten-Controlling die Notwendigkeit und Nutzen eines wirksamen und umfassenden Risikomanagements für Marktpreisrisiken vor Augen zu führen. Rettungsboote werden nicht während eines Sturms gebaut. Bereiten Sie sich rechtzeitig auf die nächsten Extremfälle vor und entwickeln Sie Maßnahmen, mit denen Sie sich gegen kommende Turbulenzen absichern.

Das Finanz- und Treasury Management Team der KPMG steht Ihnen für einen Austausch sehr gerne zur Verfügung.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 114, September 2021
Autoren: Ralph Schilling, Partner, Finanz- und Treasury-Management, KPMG AG; Moritz zu Putlitz, Assistant Manager, Finanz- und Treasury Management, KPMG AG

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1 USD/40ft Container
2 Verband der Chemischen Industrie e.V.
3 Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V.