Das Großartige an Standards ist, dass es so viele von ihnen gibt, aus denen man wählen kann. Den Ursprung dieser Ironie kann wohl jeder im Treasury nach der Einführung von elektronischen Zahlungsformaten im eigenen Unternehmen nachvollziehen. Vermutlich führt dieser jedoch zu schmerzhaften Erinnerungen an das Implementierungsprojekt sowie die Wartung von je nach Zahlungstypen und abzudeckenden Regionen unterschiedlichster Zahlungsformate. Als wäre dies nicht schon genug, verwenden viele Finanzinstitute sogar ihre eigenen Standards intern und/oder mit ihren Kunden. 

Der Standard ISO 20022 verspricht Abhilfe bei diesem für viele Treasury-Organisationen sensiblen Aufwandstreiber. Im November 2022 beginnt die Migrationsphase auf den neuen Standard, für SWIFT Kunden muss bereits vor November die Nachrichten-Schnittstelle angepasst worden sein. Bis November 2025 bestehen alte Nachrichtentypen der MT Klasse noch in Koexistenz, bis dahin sollten Kunden den neuen Standard getestet haben und migriert sein. 

Der ISO20022 hat sich zum Ziel gesetzt Struktur in unstrukturierte Daten zu bringen

Die neue Norm soll eine einheitliche Methodik zur Beschreibung von Geschäftsprozessen und eine gemeinsame Geschäftssprache vorgeben, die in verschiedenen Syntaxen (beispielsweise XML) und Standards dargestellt werden kann und Implementierungen für Application Programming Interfaces (APIs) erleichtert. Der ISO 20022 wird hierbei durch ein zentrales „Wiki“ unterstützt, das ein Datenwörterbuch und einen Katalog von Nachrichten enthält und für alle zugänglich ist. Aus geschäftlicher Sicht ist die Verwendung dieses universellen Nachrichtenstandards, der vielseitig konzipiert ist und von einer breiten Gemeinschaft gepflegt werden soll, interessant, da die Synergien und Migrationsmöglichkeiten von älteren Formaten sichergestellt werden sollen. So soll eine Erhöhung der Effizienz bei der Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen im Bereich Zahlungsverkehr sichergestellt werden. Das ISO 20022-Wörterbuch listet, ähnlich wie ein klassisches Wörterbuch, den Namen einer Komponente, ihre Struktur (mit Verweisen auf Unterkomponenten, die an anderer Stelle im Wörterbuch beschrieben werden können) und, was am wichtigsten ist, ihre Bedeutung und ihre Verwendung oder Interpretation auf. Mit dieser Grundlage hat sich der ISO 20022 zum Ziel gesetzt einzelne Komponenten der Nachrichten für den gesamten Datenaustausch in der Finanzbranche zu standardisieren. So ist bei jeder Nachricht, in der beispielsweise "Creditor-Agent" erwähnt wird, klar, was gemeint ist und was an beschreibenden Daten über den Creditor-Agenten zu erwarten ist. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass die Informationen in jeder ISO 20022-Zahlung an der gleichen Stelle in einem bestimmten Format erscheinen, während der neue Standard darüber hinaus ermöglicht, mehr Informationen in diesem strukturierten Format anzureichern, beispielsweise Informationen die für das Cash Flow Forecasting von Relevanz sind. 

Exkurs - Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Standard und einer Syntax (zum Beispiel XML)?

Die Syntax ist das Format, in dem die Informationen in einer Nachricht strukturiert sind. Wenn der Leser eine bestimmte Syntax nicht versteht, ist es nicht möglich, den Inhalt der Nachricht zu verstehen. Der Unterschied zwischen einer Norm und einer Syntax wird häufig verwechselt. Die Norm beschreibt die Vereinbarung darüber, welche Informationen ausgedrückt werden, während die Syntax das Format oder die "Sprache" ist, die zum Ausdruck dieser Informationen verwendet wird. Es ist schwierig für zwei Menschen, ein Gespräch zu führen, wenn sie nicht beide die gleiche Sprache verwenden und verstehen. Das Gleiche gilt für die Syntax. Die Globalisierung und der ständig wachsende Bedarf an End-to-End-Verarbeitung erhöhen die Anforderungen. Die Antwort auf dieses Problem soll der ISO20022 bieten.

Wird mit dem ISO 20022 nun das gelobte Land der Standardisierung und Automatisierung erreicht?

Jein. Positiv hervorzuheben ist, dass eine verbesserte Qualität und ein erweiterter Informationsgehalt mannigfaltige Möglichkeiten für Treasurer bietet, um Prozesse des Zahlungsverkehrs sowie darauf aufbauende (zum Beispiel Cash Flow Forecasting) zu verbessern und zu automatisieren. Des Weiteren können durch den verbesserten Informationsgehalt in Zahlungsfiles verbesserte Kontrollen gegen Fraud genutzt werden, da beispielsweise Geschäftsadressen nicht mehr verkürzt dargestellt werden müssen und präziser gegen ERP und TMS Stammdaten abgeglichen werden können. Doch – wie so häufig – geht bei der Implementierung der neuen Norm genau mit diesen Vorteilen die steigende Komplexität einher. So müssen Datenstrukturen neu aufgebaut werden und zwingend abgeglichen werden, ob die bestehenden ERP und TMS in einem Unternehmen, die benötigten Informationen in der dafür vorgesehenen Struktur des ISO20022 anliefern bzw. verarbeiten können. Je nach Komplexität der bereits bestehenden Zahlungs- und Systemlandschaft kann dies also massive Anstrengungen in der Analyse und den Umstellungsmöglichkeiten mit sich führen. Hierbei kann ein ERP bereits an vermeintlich banalen Informationen wie der Strukturierung von Adressdaten scheitern, wodurch das erhoffte Potential ungenutzt bleibt. Da beim Thema Zahlungsverkehr keine Sorgfalt im Gebiet der Analyse und des Testings der neuen Zahlungsfiles unterlassen werden sollte, bedarf eine Umstellung mitunter großer Aufwände. Es bleibt also dabei, dass eine nennenswerte Investition erforderlich ist bevor der Nutzen dieser spürbar wird.

Quelle: KPMG Corporate Treasury News, Ausgabe 123, Juli 2022
Autoren:
Börries Többens, Partner, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG
Julian Fisahn, Manager, Finance and Treasury Management, Corporate Treasury Advisory, KPMG AG