• Sandor Arany, Senior Manager |
  • Karin Schilter, Expert |

Sowohl National- als auch Ständerat haben sich am 17. Dezember 2021 für eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes ausgesprochen. Dieser Beschluss war Teil der Reform des schweizerischen Rentensystems, der so genannten "Reform AHV 21" / "AVS 21".

Defizit im Schweizer Rentensystem

Bereits seit 2014 verschlechtert sich die Finanzierung der AHV zusehends und es zeichnet sich ab, dass die in die schweizerische Altersversicherung einbezahlten Mittel nicht mehr ausreichen, um die laufenden Renten zu decken. Allerdings erfordert das Umlagesystem ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Situation wird sich mit der Pensionierung der Babyboomer-Generation ab 2020 noch verschärfen. Zwischen 2022 und 2030 beträgt das aufgelaufene Umlagedefizit 39 Milliarden Franken, der Finanzierungsbedarf zur vollständigen Deckung des Ausgleichsfonds beläuft sich auf 53 Milliarden Franken.

Es gab in den vergangenen Jahren mehrere Versuche, das Schweizer Rentensystem zu reformieren, aber keine der vorgelegten Massnahmen konnte umgesetzt werden. Angesichts der gebotenen Dringlichkeit hat das Schweizer Parlament nun Gesetzesanpassungen (AHV 21 / AVS 21) ausgearbeitet, die sich auf die wesentlichsten Punkte zur Stabilisierung des schweizerischen Rentensystems konzentrieren.

Vorgelegte Massnahmen

Die wichtigsten Massnahmen der Reform sind:

  • Vereinheitlichung des Rentenalters auf 65 Jahre für Frauen und Männer
  • Ausgleichsmassnahmen für die Übergangsgeneration
  • Flexibilisierung des Renteneintrittsalters
  • Anreize zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit nach dem 65. Lebensjahr

Nach Einschätzung des Schweizer Parlaments reichen die oben genannten Massnahmen allein nicht aus, um das für den Zeitraum 2022-2030 berechnete Defizit vollständig zu decken. Deshalb ist eine Anhebung der Mehrwertsteuersätze vorgesehen, die zur Deckung des offenen Defizits beitragen soll:

  Ab 1.1.2021 Anpassung Angepasste Steuersätze
Normalsatz 7.7% + 0.4% 8.1%
Reduzierter Satz 2.5% + 0.1% 2.6%
Sondersatz für Beherbergungsdienstleistungen 3.7% + 0.1% 3.8%

Anstehende Schweizer Volksabstimmung

Da die Mehrwertsteuersätze in der Bundesverfassung verankert sind, untersteht deren Anpassung dem obligatorischen Referendum. Da alle Massnahmen miteinander verknüpft sind, treten sie nur in Kraft, wenn alle Massnahmen angenommen werden. Damit wird beispielsweise das Rentenalter für Frauen nur dann auf 65 Jahre angehoben, wenn gleichzeitig der Mehrwertsteuersatz angehoben wird und umgekehrt.

Das Schweizer Volk wird abstimmen und entscheiden müssen, ob es mit allen Änderungen einverstanden ist, die vom Schweizer Parlament hinsichtlich des Schweizer Rentensystems und der Erhöhung der Mehrwertsteuersätze unterbreitet werden. 

Die Referendumsfrist lief bis zum 7. April 2022. Danach muss die Abstimmung innerhalb eines Jahres stattfinden. Die mögliche Erhöhung der Mehrwertsteuersätze würde frühestens im Jahr 2023 umgesetzt.

Wie kann der Mehrwertsteuersatz erhöht werden?

Auf den ersten Blick scheint die Antwort einfach zu sein. Tatsächlich können die Mehrwertsteuersätze jedoch entweder linear oder proportional erhöht werden: Bei der linearen Erhöhung wird jeder der drei Sätze um die gleiche Anzahl Prozentpunkte angehoben, während bei einer proportionalen Erhöhung das Verhältnis zwischen dem Normalsatz und den Sondersätzen beibehalten wird.

Im Hinblick auf die Steuereinnahmen würde die lineare Methode etwa 12 % mehr Einnahmen bringen als die proportionale Methode. Andererseits hat die proportionale Erhöhung aus sozialpolitischer Sicht den Vorteil, dass sie die regressive Wirkung der Mehrwertsteuer abmildert. Denn bei dieser Methode sind die niedrigeren Steuersätze weniger betroffen, und somit wird der Verbrauch von Gütern des täglichen Bedarfs weniger belastet. Damit bietet die proportionale Erhöhung der Mehrwertsteuer den Vorteil, dass die Kaufkraft der unteren und mittleren Einkommen nicht wesentlich beeinträchtigt wird. 

In der Schweiz basieren die bisherigen Mehrwertsteuersätze auf der proportionalen Methode. Deshalb sieht die aktuelle Vorlage für die Erhöhung der Mehrwertsteuer ebenfalls eine proportionale Erhöhung vor. 

Mehrwertsteuer und Volksabstimmungen

Die Anpassung des Mehrwertsteuersatzes an sich ist keine Schweizer Besonderheit; solche Änderungen können in allen anderen Ländern jederzeit vorgenommen werden. Dennoch ist es ungewöhnlich, die Bevölkerung mittels einer Volksabstimmung darüber entscheiden zu lassen.

In den letzten Jahren hat sich ein dramatischer kultureller Wandel vollzogen, da Regierungen und Gemeinschaften ihr Augenmerk verstärkt auf soziale und gesundheitliche Fragen, Umweltbelange, Nachhaltigkeit und Unternehmensführung richten. 

Sie erwarten von Unternehmen, dass sie verantwortungsvoll handeln. Der Nachweis ihres Engagements und Beitrags zur Erreichung von ESG- (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) und Nachhaltigkeitszielen wird zu einem deutlichen Gradmesser für diesen Erfolg – und Steuertransparenz wird zunehmend als wesentliches Element der ESG-Berichterstattung und als zentrale Kennzahl für den Nachweis einer verantwortungsvollen Haltung in Sachen Steuern angesehen. 

Auch wenn die ESG-Berichterstattung nur wenig mit Steuern zu tun hat, geht es im Grunde darum, dass Staaten über Steuern ESG-Initiativen finanzieren wollen (so wie die Mehrwertsteuereinnahmen einen Teil der Kosten für die Schweizerische Altersversicherung decken), und die Öffentlichkeit will sehen können, dass Unternehmen das «Richtige» tun.

Alle haben ein Eigeninteresse in Sachen Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Vermeidung nachteiliger Auswirkungen des Klimawandels. Steuern und Steuertransparenz müssen in allen Diskussionen über diese Themen eine zentrale Rolle spielen. Aus diesem Grund sollten Steuerfunktionen in ESG- und Nachhaltigkeitsdiskussionen einbezogen werden. So können alle einen Beitrag leisten und am Ende gewinnen alle.

Was ist zu tun, um vorbereitet zu sein?

Der Anlass für eine Änderung des Mehrwertsteuersatzes (entweder wirtschaftlich, sozial oder staatlich) kann von Fall zu Fall und auch von Land zu Land unterschiedlich sein. So haben einige Regierungen beschlossen, ihre Einnahmequellen von direkten auf indirekten Steuern zu verschieben, andere Länder haben vor kurzem als Antwort auf die negativen Auswirkungen der Coronakrise eine befristete Mehrwertsteuersenkung beschlossen und eine ganze Region (Gulf Cooperation Council GCC) hat in den letzten Jahren beschlossen, erstmals eine Mehrwertsteuer einzuführen.

Es steht ausser Frage, dass die auf dem Schweizer Markt tätigen Unternehmen nicht unmittelbar auf diese Änderung des Mehrwertsteuersatzes reagieren müssen. Dennoch ist es angesichts dieser Entwicklung (wieder) an der Zeit, ERP-Strategien und die Art und Weise zu überprüfen, wie Änderungen im Bereich der indirekten Steuern (Mehrwertsteuersätze und andere) gehandhabt werden.

In diesem Zusammenhang lesen Sie bitte auch unsere früheren Blogs, in denen wir die ERP-Überlegungen zu einer Änderung des Mehrwertsteuersatzes untersucht haben ebenso wie Betriebsmodelle für indirekte Steuern.

Wie kann KPMG Sie unterstützen?

KPMG wird die weitere Entwicklung zu diesem Thema verfolgen und das Ergebnis der Abstimmung mitteilen. Wenn Sie in der Zwischenzeit Fragen zu ERP-Strategien aus Sicht der indirekten Steuern haben, wenden Sie sich bitte an uns.