Die Überarbeitung der Gesetzgebung ist anspruchsvoll: Die Dynamik des technischen Fortschritts in der Entwicklung von neuen Präparaten und Arzneien gekoppelt mit immer komplexeren Therapieansätzen sowie die Bedeutung der Pharmaindustrie für den wirtschaftsstandort Schweiz erfordern einen weitsichtigen, wenn nicht schon fast visionären Ansatz. Das HMG sollte die Zulassung von neuartigen Heilmittel in der Schweiz, zu denen in Zukunft etliche neue Therapieansätze, medizinische Geräte, Smartphones, uvm. gehören, gegenüber dem Ausland nicht schlechterstellen. Des Weiteren soll es einen Unterlagenschutz gewährleisten, der im internationalen Vergleich kompetitiv ist, sowie Veränderungen im Gesundheitswesen und bei den Vertriebsstrukturen von Heilmitteln nicht unnötigerweise behindern oder einschränken.
Es ist offenkundig, dass in einem Gesetzgebungsverfahren eine der Herkulesarbeiten darin besteht, einen Text zu verfassen, der den meisten Interessen gerecht wird. Insofern dürfte der in der Schweiz übliche Gesetzgebungsprozess sicherstellen, dass zumindest die heutigen Interessen angehört und berücksichtigt werden. So wünscht sich beispielsweise der Apotheker möglichst ein breites, durch ihn frei abzugebendes Spektrum an Medikamenten. Die Ärtzeschaft und die Spitäler haben ebenfalls ein Interesse daran, der Kundschaft, möglichst viele verschreibungspflichtige Medikamente abzugeben. Die Pharmaindustrie ist wiederum daran interesisert, dass der Unterlagenschutz bei Innovationen möglichst lange gewährt bleibt. Neue Akteure, wie neue Online-Versandapotheken und Detailhändler, haben ein Interesse daran in den Arzneimittelmarkt einzutreten.
Eine kurze Analyse bezüglich der Zulassungsverfahren, des Unterlagenschutzes und der Vertriebsstrukturen lässt eine Einschätzung der internationeln Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu:
- Zulassungsverfahren: Die Zulassungsverfahren sind in der EU weitestgehend harmonisiert. Im Rahmen des Brexit könnte es hier zu grossen Veränderungen kommen, da die meisten Zulassungsanträge in Europa über die britische Arzneimittelbehörte (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA)) als Referenzstaat eingereicht werden. In der Schweiz stellen sich für Swissmedic diesbezüglich Fragen der Annerkennung und der künftigen Zusammenarbeit.
- Unterlagenschutz: Der Verordnungsetwurf sieht in Sachen Unterlagenschutz nicht nur Verbesserungen vor. So wird einem Anreizsystem zur Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Krankheiten keine Exklusivität gewährt. Des Weiteren wird kein genügend langer Unterlagenschutz von generell 10 Jahren gewährt. Diese längere Schutzdauer ist nur auf Gesuch hin vorgesehen. Es stellt sich entsprechend die Frage, ob so Innovationen genügend gefördert werden.
- Vertriebsstruktur: Gemäss dem Branchenverband Interpharma/Quintiles IMS Schweiz wurden in den letzten 10 Jahren in den etablierten Vertriebskanälen (Apotheken, Ärzte und Spitäler) kontinuierlich mehr Medikamente verkauft. Ende 2016 liefen wertmässig 51% der Umsätze über Apotheken. Dabei kommt Online-Versandhandel eine immer grössere Bedeutung zu.Im internationalen Vergleich ist dies keine Überraschung, wächst doch der Online-Konsum in den letzten Jahren kontinuierlich. Es gibt wenig Gründe, wieso das zunehmende Bedürfnis der 24-Stunden-Gesellschaft beim Konsum von Arzneimittel halt machen sollte. Es mutet auch wenig visionär an, wenn beim Online-Versandhandel für nicht verschreibungspflichte Medikamente strengere Auflagen gemacht werden als im stationären Handel. Fast störend wirkt, wenn der stationäre Handel selbst im Versandgeschäft mitwirkt, sich dann aber nicht an die Regeln hält. Bei der Preissetzung für verschreibungspflichtige wie auch nicht-verschreibungspflichtige Medikamente wird mittlerweile mit harten Bandagen gekämpft. So wurde in Deutschland die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente als europarechtswidrig erklärt. Der Vergleich von Vertriebsstrukturen ist grundsätzlich schwierig, da diese wesentlich vom Vergügungssystem und von der Organisation des Gesundheitswesens abhängig sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es kaum eine Frage der heutigen Gesetzgebung sein wird, die darüber entscheidet, welche Vertriebskanäle sich durchsetzen werden. Die zunehmende Digitalisierung und Sicherheit der Plattformen werden zweifelsohne dazu führen, dass der Patient in Zukunft nach seinem Arztbesuch nach Hause geht und die verschriebenen Medikamente dann zugesandt bekommt. Es gehört zur digitalen Gesellschaft, dass dabei das bestehende System sich anpassen muss, um nicht obsolet zu werden. Der heute geltende Schutz könnte bald Geschichte sein. In Estland beispielsweise besteht seit längerer Zeit ein auf Blockchain basiertes E-Government-Informationssystem. Der Bürger hat einen Gesundheitspass, und über diesen werden z.B. Rezepte vom Arzt zur Krankenversicherung in einem unveränderbaren Datensatz digital transferiert. Für den Patienten und das Gesundheitssystem spielt es keine Rolle mehr, wer die Medikamente liefert.
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