Wird das Erbrecht zeitgemäss? Wird das Erbrecht zeitgemäss?
Bisher ist im Erbrecht eines gewiss: Dass Familienbande beständig sind. Egal, wie «verbunden» sich nächste Angehörige zu Lebzeiten sind. Das Vermögen eines Verstorbenen fliesst von Gesetzes wegen zu einem guten Teil an seine Familie. Dies soll auch künftig so sein, aber mit mehr Freiheiten.
Mehr Handlungsfreiheit
Angesagt ist mehr Handlungsfreiheit. Der Erblasser soll gemäss laufender Erbrechtsrevision freier bestimmen können, wer nach seinem Tod wieviel von seinem Nachlass erhält. Damit ist die Erbrechtsrevision ein Meilenstein weiter.
Der Bundesrat hat am 29.08.2018 die Botschaft und den Gesetzesentwurf verabschiedet. Der Ball liegt nun beim Parlament. Das Inkrafttreten eines gesellschaftlich aktualisierten Erbrechts mit gesenkten Pflichtteilen ist damit näher gerückt. Die Motion Gutzwiller aus dem Jahr 2010 gab den Startschuss.
Die wesentlichen Änderungen
Nach Ansicht des Bundesrats soll das Erbrecht insbesondere in folgenden Punkten geändert werden:
- Der bisherige Pflichtteil der Nachkommen wird um einen Viertel reduziert (neu ½ statt bisher ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs).
- Die Elternpflichtteile werden abgeschafft (der Pflichtteil des Ehegatten bzw. eingetragenen Partners bleiben hingegen unverändert).
- In Härtefällen hat der faktische Lebenspartner zur Sicherung des Existenzminimums neu einen Unterstützungsanspruch.
- Wer in Scheidung ist, verliert den Pflichtteil gegenüber dem Noch-Ehegatten. Gleiches gilt für das Auflösungsverfahren bei eingetragener Partnerschaften.
- Bisher offene Fragen bei der Berechnung der Erbmasse werden mit dem neuen Gesetz beantwortet.
Die wesentlichen Konsequenzen
- Der Erblasser kann damit freier bestimmen, wer nach seinem Tod wieviel von seinem Nachlass erhält.
- Der gesetzliche Pflichtteil des Ehegatten bzw. eingetragenen Partners bleiben unverändert.
- Faktische Lebenspartnerinnen und -partner haben in gewissen Fällen nach dem Tod ihres Partners einen Unterstützungsanspruch. Zum Beispiel beim Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit während des Zusammenlebens wegen Haushaltsführung, Kinderbetreuung oder Pflege eines Familienmitglieds. Dies ist ein neues Instrument, das das Existenzminimum sichern und den Bezug von Sozialhilfe verhindern soll. Es geht finanziell nicht darüber hinaus.
- Ab dem Zeitpunkt eines laufenden Scheidungsverfahrens entfällt der Pflichtteil, sofern die Ehepartner ein gemeinsames Scheidungsbegehren gestellt haben oder seit mindestens zwei Jahren getrennt leben. Dasselbe gilt während eines Verfahrens zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft. Taktieren zwecks Verzögerung des Verfahrens wird damit verhindert.
- Die gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) bildet nicht Teil des Nachlasses, unterliegt aber bei Verletzung von Pflichtteilen der Herabsetzung. Ebenso unterliegen güterrechtliche Begünstigungen des überlebenden Ehegatten/eingetragenen Partners in einem Ehe- oder Vermögensvertrag nicht Teil des Nachlasses, unterliegen aber bei Verletzung von Pflichtteilen der Herabsetzung. Damit werden bisher offene Fragen bei der Berechnung der Erbmasse geklärt.
- Die oft genutzte Nutzniessung (ZGB 473), die der Erblasser seinem überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Nachkommen auf dem ihnen zufallenden Erbteil zuwendet, erfährt ebenfalls eine Anpassung an das veränderte Pflichtteilsrecht. Neben dieser Nutzniessung kann nämlich der Erblasser neu die Hälfte des Nachlasses zum Beispiel seinem Ehegatten zuwenden.
Der Hintergrund
Unser geltendes Erbrecht datiert von 1912. Es soll den stark veränderten Lebensrealitäten des Zusammenlebens angepasst werden. Dazu gehören Patchworkfamilien oder faktische Lebenspartnerschaften. Erblasser versterben zudem heute in höherem Alter als früher, auch die soziale Sicherheit der Erben ist heute höher als in früheren Zeiten. Insgesamt soll das Erbrecht daher moderner und flexibler ausgestaltet werden, was auch Unternehmensnachfolgen in der Familie begünstigen wird.