VwGH: Fehlende Begründung im Aufhebungsbescheid (§ 299 BAO) schließt erneute Aufhebung nicht aus

Tax News 07-09/2022

Verfahrensrecht

Kletterer

Die Revisionswerberin erhob Beschwerde gegen einen Aufhebungsbescheid (§ 299 BAO) der Abgabenbehörde, weil diesem ein bereits wegen fehlender Begründung vernichteter Aufhebungsbescheid vorangegangen war. Der VwGH erkannte in diesem Vorgehen der Behörde keine Rechtswidrigkeit und wies die ao Revision zurück (VwGH 04.11.2021, Ra 2021/13/0100).

1. Sachverhalt: Doppelte Aufhebung der ESt-Bescheide 2016 und 2017 von Amts wegen

Das Finanzamt (FA) hob die ESt-Bescheide 2016 und 2017 der Revisionswerberin von Amts wegen nach § 299 BAO auf. Da es dem Aufhebungsbescheid an einer Begründung ermangelte, wurde der gegen den Aufhebungsbescheid erhobenen Beschwerde stattgegeben.

In weiterer Folge hob das FA die ESt-Bescheide 2016 und 2017 erneut auf und erließ neue ESt-Bescheide. Der Aufhebungsbescheid nach § 299 BAO war nunmehr umfassend begründet.

2. BFG: Beschwerde als unbegründet abgewiesen

Die Revisionswerberin erhob erneut Beschwerde und argumentierte, dass die ursprüngliche „Wiederaufnahme“ gem § 299 BAO aufgrund der fehlenden Begründung mangelhaft gewesen und dieser Mangel nicht sanierbar sei. Es liege auch kein neuer Tatsachenkomplex vor, weshalb eine „Wiederaufnahme“ nicht mehr möglich sei.

Die Beschwerde wurde vom BFG abgewiesen: Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 299 BAO lägen vor, weil sich der Spruch der ESt-Bescheide als rechtswidrig erwiesen hätte.

3. VwGH 04.11.2021, Ra 2021/13/0100: Grundsätze des § 303 BAO nicht auf § 299 BAO anwendbar

Nach Ansicht des Revisionswerbers wären die Grundsätze des § 303 BAO (Wiederaufnahme) auch auf § 299 BAO anzuwenden: Der Tatsachenkomplex wäre bereits im ersten Aufhebungsbescheid anzuführen gewesen. Eine neuerliche Aufhebung sei nur bei Vorliegen eines neuen Tatsachenkomplexes möglich. Des Weiteren wandte die Revisionswerberin Aktenwidrigkeit ein, weil das FA im Zeitpunkt der Erlassung der ESt-Bescheide den genauen Sachverhalt kannte.

VwGH: Im Bescheid gem § 299 BAO sind die Gründe für die inhaltliche Rechtswidrigkeit anzuführen. Damit wird die „Sache“ des Verfahrens bestimmt. Da im vorliegenden Fall der erste Bescheid gem § 299 BAO begründungslos ergangen war, stand dessen Aufhebung im ersten Beschwerdeverfahren einer neuerlichen Aufhebung gem § 299 BAO NICHT entgegen (KEINE res iudicata).

Für eine Aufhebung gem § 299 BAO ist ausschließlich entscheidend, dass sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweist. Wann der Sachverhalt, der zur Unrichtigkeit des aufzuhebenden Bescheides führt, „hervorgekommen“ ist, ist nicht von Bedeutung. Die Revision war daher zurückzuweisen.

4. Ergebnis: Neuerliche Aufhebung gem § 299 BAO zulässig

Die Revisionswerberin versuchte durch eine kreative Argumentation die Grundsätze der Wiederaufnahme im Beschwerdeverfahren gegen die Bescheidaufhebung gem § 299 BAO fruchtbar zu machen. Zwar finden sich beide Rechtsinstitute in systematischer Nähe, jedoch zeigt die vorliegende VwGH-Entscheidung, dass die Anwendungsvoraussetzungen gänzlich andere sind.

Die Begründung des Aufhebungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO darzulegen und die Gründe für die Ermessensübung darzustellen. Die im Bescheid genannten Gründe für die Rechtswidrigkeit bilden die „Sache“ des Verfahrens. Aus den gleichen Gründen kann daher keine erneute Aufhebung nach § 299 BAO stattfinden. Aus anderen Gründen oder aber, wenn wie im vorliegenden Fall gar keine Gründe angegeben wurden, ist eine neuerliche Aufhebung jedenfalls zulässig. Die Jahresfrist des § 302 BAO ist zu beachten.

Anders als bei einer Wiederaufnahme nach § 303 BAO ist es nicht von Bedeutung, wann ein Sachverhalt „hervorgekommen“ ist. Für eine Aufhebung nach § 299 BAO ist nur die Rechtswidrigkeit des Spruchs des Bescheides entscheidend.

5. Hinweis zum Abgabenänderungsgesetz 2022: Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 299 BAO

Gegen Prüfungsaufträge (§ 148 BAO) und andere „verfahrensleitende Verfügungen“ ist eine Bescheidbeschwerde (§ 243 BAO) NICHT zulässig. Jedoch entschied der VwGH in seinem viel beachteten Erkenntnis vom 25.04.2019, dass derartige Bescheide einer Aufhebung gem § 299 BAO zugänglich sind (VwGH 25.04.2019, Ro 2019/13/0014; siehe im Detail TaxNews 1-2/2020  sowie TaxNews 4-5/2020).

Durch das AbgÄG 2022 wird nunmehr die Möglichkeit, „verfahrensleitende Verfügungen“ mittels eines Antrags gem § 299 BAO zu bekämpfen, unterbunden: Nach § 244 BAO idF AbgÄG 2022 ist ein Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO gegen nur das Verfahren betreffende Verfügungen nicht zulässig. Damit ist erst der das Verfahren abschließende (Leistungs-)Bescheid anfechtbar. Insofern befindet man sich nunmehr wiederum in einer verfahrensrechtlichen Situation wie vor der VwGH-Entscheidung aus 2019. Zur Frage, was dies in Bezug auf Prüfungsaufträge (§ 148 BAO) konkret bedeutet, siehe TaxNews 1-2/2020.

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