Auf COVID folgen geopolitische Spannungen. Die Volkswirtschaften weltweit scheinen nicht zur Ruhe zu kommen. Energiepreise, Inflation und Grüne Energie stehen im Diskussionsfokus. Wir geben Tipps für einen vorsichtigen Blick in die Zukunft.

Die Weltwirtschaft, besonders aber die europäische Volkswirtschaft, befindet sich im Frühjahr 2022 – erneut – im Schockzustand. Nach der Unsicherheit der COVID-Pandemie dominieren geopolitische Risiken, die sich in einem Inflationsschock mit Erzeugerpreisanstiegen von über +30 Prozent, Verbraucher-Inflationsraten von über sieben Prozent und einer massiven Störung der Lieferketten manifestieren.

Blick in die Glaskugel

Ein perfekter Sturm könnte man meinen – und das tun auch viele, die eine Rezession als unausweichlich erachten. Trotzdem: Das Umfeld 2022 ist vor einer Reihe von besonderen Faktoren zu beachten, die das ökonomische Bild deutlich robuster erscheinen lassen.

Nach wie vor profitiert die wirtschaftliche Dynamik von der starken Erholungsbewegung nach den Pandemiejahren 2020 und 2021, vor allem robuste Arbeitsmärkte stützen diese Entwicklung. Zudem gibt es Ersparnisse der Privathaushalte, die in den Lockdowns gebildet wurden, und die nun für den Konsum zur Verfügung stehen – was angesichts der Teuerung stabilisierend wirkt.

Zusätzlich hilft die Erwartung, dass es voraussichtlich zu keinen starken Ausweitungen der Arbeitslosenquoten kommt – trotz der adversen Rahmenbedingungen. Auch die expansive Ausrichtung der Staatsfinanzen nach COVID wird wohl nicht zurückgefahren, sondern stabil bleiben oder sogar noch zunehmen. Nicht nur in den Verteidigungsausgaben. Das reduziert das Risiko einer tatsächlich schrumpfenden Wirtschaft, kostet jedoch auch Geld und damit Staatsfinanzen.

Immer mehr „grün“

Neben den Energiepreisen sind auch die Emissionszertifikate in Österreich spürbar teurer geworden. War das Instrument der CO2-Zertifikate lange Zeit als zahnlos belächelt worden, stiegen die Preise zwischen Ende Dezember 2020 (20,3 EUR) und Mai 2022 (88,8 EUR) um über 330 Prozent an.

Ein weiterer Grund, warum Unternehmen vermehrt Ansätze zur großflächigen Anwendung von grüner Energie benötigen. Einzelne Industriebeispiele zeigen, dass diese Energiekonzepte verfügbar und geeignet sind, die Energieabhängigkeit und Emissionsintensität zu reduzieren. So stellte zuletzt eine Großbäckerei in Westösterreich auf grünen Wasserstoff als Energiequelle für Produktion und LKW-Transport um. Die Abwärme der Wasserstofferzeugung (Elektrolyse) wird in der Backstube verwendet und macht so einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent möglich. Auch große Stahl- und Energieunternehmen in Österreich experimentieren bereits in diesem Bereich. Der Anreiz, diese Maßnahmen trotz der damit verbundenen hohen Investitionskosten umzusetzen, ist eine zentrale Herausforderung für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik. Erwartete Finanzierungskosten spielen bei diesen Entscheidungen eine enorme Rolle – und auch bei diesen tut sich mit einem möglichen nachhaltigen Zinsanstieg ein neuer Risikofaktor auf.

Knackpunkt Energie

Doch auch trotz dieser Sondereffekte und dem massiven staatlichen Dagegenhalten ist das Rezessionsrisiko nicht gebannt. Vor allem dann nicht, wenn sich das Stagflationsrisiko manifestiert, also schrumpfende Wirtschaft bei gleichzeitig stark steigenden Inflationsraten.

Hierbei sind Energiepreise das Zünglein an der Waage: Wenn diese zu ihren Niveaus von März 2022 zurückkehren und dort dauerhaft bleiben, könnte die Inflationsrate in der Eurozone noch deutlich über acht Prozent klettern. Die damit einhergehenden Einkommensverluste und zunehmende Unsicherheit würde das Eurozonenwachstum wohl in die Rezession drehen. Die Energiepreise sind aber nicht nur auf makroökonomischer Ebene ein zentraler Risikofaktor: Sie können auch auf Ebene der Unternehmen ein Game Changer sein – insbesondere in den Unternehmen der produzierenden Industrie und der Transportwirtschaft.

Die Produktionsindustrie in Österreich hat seit je her einen hohen Bedarf an Energie, vor allem wärmeintensive Branchen wie die Stahlindustrie. Hier macht Energie, mehrheitlich Kohle und Gas, ungefähr 20 Prozent der Herstellkosten aus. Entsprechend empfindlich reagieren die Stahlmärkte auf Energiepreiserhöhungen: Neben gestiegenen Produktionskosten (Gaspreisanstieg seit Anfang 2021 um über +600 Prozent, Strompreise über +190 Prozent) haben die hohen Energiepreise direkte Auswirkungen auf den Abnahmemarkt. Die Preisunsicherheit reduziert Investitionen und in der Folge den Stahlbedarf. Ein angemessener Preis für Stahlerzeugnisse wird somit schwerer zu erzielen sein.

Unsichere Zeiten

Die Europäische Zentralbank befindet sich im Dilemma zwischen Stabilisierung der Konjunktur und der Finanzierbarkeit der europäischen Staatsdefizite einerseits, und dem Kampf gegen explodierende Inflationsraten andererseits. Selten zuvor war der Zinsausblick so breit gefächert und unsicher. Obwohl zu erwarten ist, dass die Zentralbank weniger stark und entschlossen einen restriktiveren geldpolitischen Kurs einschlagen wird, bleibt das Risiko von steigenden Zinsen und damit ansteigenden Finanzierungskosten für Unternehmen substanziell.

Energiepreis- und Zinsrisiken machen es neben anderen Faktoren umso wichtiger für Unternehmen, die Marktentwicklungen eng zu verfolgen. Für die eigene Planung und auch Risikovorsorge kann es entscheidend sein, vermehrt auf Szenariotechniken zurückzugreifen, die die aktuellen Markterwartungen mitberücksichtigen. So kann die Informationsgrundlage für unternehmerische Entscheidungen trotz der hohen Unsicherheit bestmöglich aufbereitet werden.