Änderung der Rechtsprechung des VwGH zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Straßenerrichtungen – Keine Eigenverbrauchsbesteuerung für unentgeltliche Übertragungen ins öffentliche Gut (08.09.2021, Ro 2020/15/0011, 0012)

Tax KöR/NPO 2/2021

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Tax KöR/NPO

Der VwGH ändert in seiner (mit Spannung erwarteten) Entscheidung vom 08.09.2021, Ro 2020/15/0011, 0012 seine bisherige Rechtsprechungslinie hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung von sogenannten Erschließungsmaßnahmen. Im Hinblick auf die EuGH-Entscheidung vom 16.09.2020 (Rs C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG) konnte die bisherige Judikatur nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten bleiben. Eine fiktive Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG bei der Errichtung von Straßen, die in das öffentliche Eigentum übergehen, kann somit in Zukunft nicht mehr automatisch angenommen werden. Dieses Ergebnis widerspricht der aktuellen Ansicht der nationalen Finanzverwaltung (UStR 2000 Rz 277).

Ausgangslage

Wie bereits in unseren Tax News 10-12/2020 bzw 06-07/2021 ausgeführt, beschäftigt das Thema des Vorsteuerabzuges und der Annahme einer anschließenden fiktiven Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG bei der unternehmerischen Errichtung von Straßen, die in das öffentliche Eigentum übergehen, Praxis und Rechtsprechung schon seit langem.

Nach den UStR 2000 Rz 277 ist ein Vorsteuerabzug für Aufwendungen, die aus der Errichtung öffentlicher Straßenanlagen entstehen, unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 12 UStG zu gewähren. Durch die Übertragung in das öffentliche Eigentum wird jedoch (mit dem Ziel der Verhinderung eines unversteuerten Letztverbrauches) eine fiktive Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG angenommen. Diese Annahme steht auch in Einklang mit der früheren VwGH-Rechtsprechung (27.11.2017, Ra 2016/15/0031).

Gegen die der VwGH-Entscheidung vom 08.09.2021, Ro 2020/15/0011 zugrundeliegende BFG-Entscheidung vom 10.12.2019, RV/5101938/2017, wurde sowohl durch das Finanzamt als auch von Seiten des Steuerpflichtigen Revision erhoben. Mit Beschluss vom 21.07.2020 wurde das Verfahren durch den VwGH vorübergehend ausgesetzt, um die Entscheidung des EuGH in der Rs C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie (ergangen am 16.09.2020) abzuwarten.

Entscheidung des VwGH vom 08.09.2021, Ro 2020/15/0011

Das dem der VwGH-Entscheidung vom 08.09.2021, Ro 2020/15/0011, 0012 zugrundeliegende Verfahren betrifft einen Sachverhalt, in dem ein Steuerpflichtiger zur Erschließung von gewerblichen Grundstücksflächen, die sodann umsatzsteuerpflichtig veräußert wurden, die Straßen in dem betreffenden Gewerbegebiet errichtete. Die Straßen wurden nach deren Fertigstellung in das öffentliche Gut übertragen.

Vom BFG wurde diesbezüglich der Vorsteuerabzug gewährt, gleichzeitig jedoch basierend auf der bisherigen Rechtsprechung des VwGH eine fiktive Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG aufgrund der automatisch erfolgenden Übertragung von Straßen in das öffentliche Eigentum angenommen. Der Vorsteuerabzug wurde somit im Ergebnis durch die fiktive Lieferung wieder neutralisiert.

Nach den Ausführungen des VwGH kann die bisherige Rechtsprechung (VwGH 27.11.2017, Ra 2016/15/0031; 27.06.2019, Ra 2019/15/0023, 27.11.2017, Ro 2017/15/0003), wonach bei Übertragung eines Bauwerks an die öffentliche Hand eine Lieferung oder eine fiktive Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG vorliegt, aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 16.9.2020 in der Rs C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten werden:

  • Eine Änderung der Flächenwidmung ist ein einseitiger Hoheitsakt und kann nicht als Gegenleistung der Gemeinde für die Übertragung in das öffentliche Eigentum dienen. Es wird somit kein Rechtsverhältnis begründet, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, weswegen keine Lieferung iSd § 3 Abs 1 UStG vorliegt.
  • Zudem kann auch keine fiktive Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG angenommen werden. Die Eigenverbrauchsbesteuerung verfolgt das Ziel, unversteuerten Endverbrauch zu vermeiden. Hinsichtlich der Straßen führt der VwGH aus, dass die Leistungen für den steuerpflichtigen Verkauf des Steuerpflichtigen objektiv erforderlich waren und das Ergebnis der Straßenerrichtungsarbeiten im Rahmen der steuerpflichtigen Veräußerungen genutzt wurde. Auch wenn in den Kaufverträgen mit den Grundstückskäufern kein gesondertes Entgelt für die Leistungen verrechnet wurde, so gehören die mit diesen Arbeiten in Verbindung stehenden Eingangsleistungen zweifellos zu den Kostenelementen der vom Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze. Eine steuerpflichtige unentgeltliche Zuwendung (fiktive Lieferung iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG) liegt somit laut VwGH nicht vor.

Folgen für die Praxis

Durch die vom VwGH nunmehr geänderte Rechtsprechungslinie hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung von sogenannten Erschließungsmaßnahmen kann zukünftig nicht mehr automatisch eine fiktive Lieferung (Entnahme-Eigenverbrauch) iSd § 3 Abs 2 TS 3 UStG bei der Errichtung von Straßen, die in das öffentliche Eigentum übergehen, angenommen werden. Eine Anpassung der UStR 2000 Rz 277 scheint aufgrund der Entscheidung geboten. Sofern Sie Fragen zur Entscheidung und den daraus resultierenden Praxisfolgen haben, steht Ihnen Ihr Berater gerne unterstützend zur Seite.

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