BFG zur HWS-Befreiung: Toleranzfrist zwischen Verkauf und Aufgabe des Hauptwohnsitzes im Einzelfall auch mehr als 1 Jahr

Tax News 06-07/2021

Tax News 06-07/2021

Kletterer

Das BFG sprach erneut aus, dass hinsichtlich der Anwendung der Hauptwohnsitzbefreiung die Annahme einer starren, 1-jährigen Frist für den Wohnsitzwechsel nicht sachgerecht ist. Entscheidend ist der erkennbare Zusammenhang zwischen Veräußerung einer Liegenschaft und Aufgabe des Hauptwohnsitzes, wobei in erster Linie ein sachlicher und kein zeitlicher Zusammenhang im Vordergrund steht.

Die Hauptwohnsitzbefreiung sieht eine Befreiung von der Immobilienertragsteuer für die Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden vor. Für beide in § 30 Abs 2 Z 1 EStG normierten Tatbestände gilt, dass der „alte“ Hauptwohnsitz tatsächlich aufgegeben werden muss.

Von der Finanzverwaltung wird in den EStR 2000 (Rz 6643) diesbezüglich (generell) festgehalten, dass der Hauptwohnsitz mit der Veräußerung oder grundsätzlich spätestens ein Jahr nach der Veräußerung (Toleranzfrist) aufgegeben werden muss. Zu dieser in den Richtlinien festgehaltenen 1-jährigen Toleranzfrist äußerte sich das BFG in dem unten geschilderten Fall erneut.

1. Der Fall

Die Beschwerdeführerin (Bf) hat im Mai 2018 nach schwerer Krankheit und damit verbundenen Einkommenseinbußen den Hälfteanteil ihrer Eigentumswohnung veräußert. Gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnte sie die Wohnung über 14 Jahre. Im Kaufvertrag wurde festgehalten, dass die Wohnung spätestens Ende Dezember 2018 (also rund ein halbes Jahr nach dem Verkauf) tatsächlich an die Käufer zu übergeben sei.

Weil die Bemühungen der Bf, eine neue leistbare Wohnung zu finden, ins Leere gingen, schloss die Beschwerdeführerin aus Sicherheitsgründen im August 2018 einen Mietvertrag mit den neuen Eigentümern über die gegenständliche Wohnung ab. Der Bf war eine jederzeitige einvernehmliche Auflösung des Mietvertrages (mündlich) zugesichert worden. Als die Bf eine leistbare Wohnung im Auge hatte, wollten die Vermieter (die neuen Eigentümer der gegenständlichen Wohnung) von dieser ursprünglichen Bereitschaft nichts mehr wissen, und beriefen sich auf den eindeutigen Vertragsinhalt des Mietvertrages, der eine vorzeitige Auflösung nach frühestens einem Jahr vorsah.

Weil aufgrund dessen der Hauptwohnsitz erst im November 2019 aufgegeben wurde (eineinhalb Jahre nach dem Verkauf der Wohnung), unterwarf das Finanzamt den Veräußerungsvorgang der ImmoESt.

2. Die Entscheidung des BFG (01.03.2021, RV/6100391/2020)

Nach Ansicht des BFG sei die Annahme einer starren Frist für den Wohnsitzwechsel nicht sachgerecht. Dass sich der Wohnungswechsel über einen längeren Zeitraum hingezogen habe, sei auf von der Bf nicht beeinflussbare Umstände zurückzuführen. Die Hauptwohnsitzbefreiung war daher zu gewähren (es wurde keine ordentliche Revision an den VwGH zugelassen).

3. Ergebnis

Die Entscheidung ist nicht überraschend – hat doch der VwGH bereits vor längerer Zeit ausgesprochen, dass eine angemessene Frist zwischen Veräußerung und Aufgabe des Hauptwohnsitzes nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist, und dass diese durchaus über ein Jahr hinausgehen kann, wenn bei der Veräußerung bereits festgestanden ist, den Hauptwohnsitz zu wechseln. Diese Entscheidung des VwGH findet sich auch in den EStR 2000 (Rz 6643) wieder und fügt sich stimmig in die BFG Rsp zum umgekehrten Fall ein (wenn der Hauptwohnsitz vor der Veräußerung aufgegeben wird; vgl auch unsere Tax News 01-02/2020), die im Rahmen des Wartungserlasses 2021 ebenfalls Eingang in die EStR gefunden hat (Rz 6643).

Im Ergebnis ist daher die in den Richtlinien vorgesehene Toleranzfrist von 1 Jahr (gemeint ist die Frist zwischen Veräußerung und tatsächlicher Aufgabe des „alten“ Hauptwohnsitzes) keine starre Frist, sondern kann im Einzelfall auch darüber hinausgehen. Ihr KPMG-Berater unterstützt Sie bei der Beurteilung gerne.