VwGH zu absichtlich mangelhaften Beschwerden: Sofortige Zurückweisung unzulässig

Tax News 03-05/2021

Tax News 03-05/2021

Kletterer

Unbegründete Beschwerden sind nach Ansicht des BFG zurückzuweisen, wenn die Begründung bewusst unterlassen wurde, um dadurch eine Verlängerung der Beschwerdefrist zu erschleichen. Der VwGH erteilt dieser BFG-Rechtsprechung eine Absage: Unterlässt der Abgabepflichtige missbräuchlich eine Beschwerdebegründung, hat die Abgabenbehörde dennoch einen Mängelbehebungsauftrag zu erteilen. Die sofortige Zurückweisung ist unzulässig (VwGH 18.01.2021, Ra 2020/13/0065).

1. Mängelbehebung in der BAO

Inhaltliche Mängel berechtigen die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung einer Bescheidbeschwerde. Inhaltliche Mängel liegen vor, wenn gesetzlich geforderte Angaben fehlen. Hiezu zählt auch die Begründung einer Beschwerde (§ 250 BAO).

Die Abgabenbehörde hat dem Abgabepflichtigen die Behebung der Mängel aufzutragen und ihm hiefür eine angemessene Frist zu setzen. Werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Beschwerde als ursprünglich richtig eingebracht (§ 85 Abs 2 BAO).

2. Sachverhalt: Einbringung Leerbeschwerde

Der steuerliche Vertreter einer Abgabepflichtigen brachte fristgerecht eine Bescheidbeschwerde ein. Diese enthielt keine Begründung, sondern lediglich die Ankündigung „Begründung folgt“. Eine Begründung wurde innerhalb der Beschwerdefrist NICHT nachgereicht. Das Finanzamt forderte daraufhin die Abgabepflichtige mittels Mängelbehebungsauftrag auf diese nachzureichen.

3. BFG 04.06.2020, RV/7101804/2019: Rechtsmissbrauch

Nach Ansicht des BFG ist bei einem Steuerberater die Kenntnis über die rechtlichen Anforderungen an eine Beschwerde vorauszusetzen. Wird dessen ungeachtet bewusst eine mangelhafte Beschwerde eingebracht, um auf dem Umweg eines Mängelbehebungsverfahrens eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erlangen, handelt die steuerliche Vertretung „rechtsmissbräuchlich“.

Für die Erteilung eines Mängelbehebungsauftrages ist nach Ansicht des BFG diesfalls kein Raum. Das BFG wies daher die vorgelegte Beschwerde als unzulässig zurück (§ 260 Abs 1 lit a BAO). In seiner Argumentation stützte sich das Gericht auf die ständige Rechtsprechung des VwGH zum AVG sowie zum Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG).

Mit dieser Entscheidung bestätigte das BFG den Beschluss vom 06.03.2020, RV/7105843/2019. Siehe hierzu Tax News Juni 2020.

4. VwGH: Mängelbehebungsauftrag zu erteilen

Der VwGH hob das Erkenntnis des BFG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Nach Ansicht des VwGH ist auch bei „Leerbeschwerden“ ein Mängelbehebungsauftrag zu erteilen. Begründung:

  • Möglichkeit der Fristverlängerung: In der BAO ist anders als bspw im AVG oder SBBG die Verlängerung der Beschwerdefrist vorgesehen (§ 245 Abs 3 BAO). Durch einen missbräuchlich erwirkten Mängelbehebungsauftrag, welcher eine faktische Fristverlängerung bewirkt, wird somit kein neues – der Verfahrensordnung fremdes – „Rechtsinstitut“ erzeugt.
  • Rechtrichtigkeit > Rechtssicherheit: Die BAO sieht vor, dass rechtswidrige Entscheidungen im Abgabenverfahren binnen eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides ohne Vorliegen besonderer Gründe aufgehoben werden können (§ 299 BAO). Eine solche Möglichkeit normieren andere Verfahrensordnungen nicht. Der Gesetzgeber räumt somit nach Ansicht des VwGH der Rechtsrichtigkeit in der BAO einen höheren Stellenwert ein als der umgehenden Bekämpfung einer Rechtswidrigkeit.

5. Ergebnis

  • Auch bei rechtsmissbräuchlichen „Leerbeschwerden“ hat die Abgabenbehörde einen Mängelbehebungsauftrag zu erlassen. Die sofortige Zurückweisung ist unzulässig. Voraussetzung: Die Beschwerde wurde fristgerecht eingebracht.
  • Dennoch empfiehlt sich in der Praxis die Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Beschwerdefrist (§ 245 Abs 3 BAO).
  • Alternativ ist die Einbringung einer „Rumpfbeschwerde“ möglich, die alle gesetzlichen vorgesehenen inhaltlichen Voraussetzungen erfüllt. Eine solche „Rumpfbeschwerde“ kann im Anschluss umfangreich ergänzt werden.

Siehe im Detail: Papst/Gurtner, VwGH zum missbräuchlichen Unterlassen der Beschwerdebegründung: KEINE sofortige Zurückweisung, ZSS 2021 (in Druck)