Tax News: EuGH: Wissen oder hätte wissen müssen iZm Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrug

EuGH: Beteiligung an einem Umsatzsteuerbetrug

Nach Auffassung des EuGH darf einem Steuerpflichtigen, der Teil einer Lebensmittelkette ist, das Vorsteuerabzugsrecht nicht alleine deshalb versagt werden, weil er seine rechtlichen Verpflichtungen hinsichtlich der Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel nicht eingehalten hat. Auch ist es für die Beurteilung, ob der Steuerpflichtige von seiner Beteiligung an einem Mehrwertsteuerbetrug wusste oder hätten wissen müssen nicht relevant, ob er die lebensmittelrechtliche Überprüfung der Registrierung seiner Lieferer vorgenommen hat.

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Der EuGH hat im Urteil vom 3. Oktober 2019, „Altic“ SIA, Rs C-329/18, zwei Vorlagefragen des Obersten Gerichts von Lettland entschieden.

Altic erwarb im Juli und August 2011 Rapssaatgut von der „Sakorex“ SIA sowie im Oktober 2011 von der „Ulmar“ SIA. Das besagte Rapssaatgut wurde in Empfang genommen und in einem der SIA gehörenden Lager aufbewahrt. Altic zog die bei diesen Käufen angefallene Mehrwertsteuer als Vorsteuer ab. Nach einer bei Altic durchgeführten Prüfung kam die Abgabenbehörde zu dem Schluss, dass diese Erwerbsvorgänge in Wirklichkeit nicht stattgefunden hätten. Sie schrieb Altic die Zahlung der abgezogenen Mehrwertsteuer samt Strafzuschlag und Verspätungszinsen vor.

Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist unstreitig, dass Indizien dafür bestehen, dass Sakorex und Ulmar Scheinunternehmen sind, und dass die Herkunft der fraglichen Waren nicht feststellbar ist. Folglich stelle sich die Frage, ob Altic gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass die im Ausgangsverfahren gegenständlichen Umsätze Teil eines Mehrwertsteuerbetrugs gewesen seien.

Fraglich war gemäß dem vorlegenden Gericht, ob das Ziel der (lebensmittelrechtlichen) EU-Verordnung zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit nicht den Nachweis einer größeren Sorgfalt seitens des Lebensmittelunternehmers erfordere, was ihn in diesem Sinne zu dessen Überprüfung, insbesondere in Bezug auf seine Registrierung bei den zuständigen Behörden, verpflichten würde, und ob bei Fehlen einer solchen Sorgfalt diesem Unternehmer das Vorsteuerabzugsrecht verweigert werden dürfe.

Im Rahmen der Behandlung der ersten Vorlagefrage führt der EuGH als Grundsatz aus, dass die nationalen Behörden und Gerichte den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu versagen haben, wenn aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer Weise oder missbräuchlich geltend gemacht wird. Dies ist der Fall, wenn (1) der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, und auch, wenn (2) ein Steuerpflichtiger wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Erwerb an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war.

Betreffend den Grad der erforderlichen Sorgfalt des Steuerpflichtigen führt der EuGH aus, dass Wirtschaftsteilnehmer alle Maßnahmen treffen müssen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind. Es hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab, welche Maßnahmen im konkreten Fall vernünftigerweise von einem Steuerpflichtigen zu diesem Zweck verlangt werden können.

Gemäß den Ausführungen des EuGH gehören die in der (lebensmittelrechtlichen) EU-Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen nicht zu den in der MWSt-Richtlinie normierten materiellen und formellen Anforderungen und Bedingungen des Abzugsrechts. Diese Verpflichtung als solche kann daher nicht als Maßnahme angesehen werden, deren Ergreifen vom Steuerpflichtigen vernünftigerweise verlangt werden kann.

Anders verhielte es sich, wenn ordnungsgemäß festgestellt wäre, dass der Erwerber der betreffenden Waren aufgrund besonderer Umstände ernsthafte Zweifel in Bezug auf das tatsächliche Bestehen oder die wahre Identität des Lieferers dieser Waren hätte hegen müssen.

Im Rahmen der Behandlung der zweiten Vorlagefrage führt der EuGH aus, dass die EU-Verordnungen über Lebensmittelhygiene und die Verordnung über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz keine Verpflichtung des Steuerpflichtigen dahin gehend enthalten, zu überprüfen, ob seine Lieferer gemäß den Anforderungen dieser Verordnungen registriert sind. Auch der MwSTSystRL 2006/112 lässt sich eine solche Überprüfungsverpflichtung für die Zwecke des Vorsteuerabzugs nicht entnehmen. Der EuGH kommt zu dem Zwischenergebnis, dass eine Abgabenbehörde vom Rechnungsempfänger keine diesem nicht obliegende Überprüfungen fordern darf.

Im Ergebnis darf die Abgabenbehörde den Steuerpflichtigen für die Zwecke der Feststellung, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass seine Lieferer in einen Mehrwertsteuerbetrug verwickelt waren, auch nicht dazu verpflichten, zu überprüfen, dass diese Lieferer ihren unionsrechtlichen Registrierungspflichten im Bereich der Lebensmittelregulierung nachgekommen sind.

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